Sterben Christen anders?

Mehr als früher kommen auch in Europa verschiedene fremde Vorstellungen wie die von der Reinkarnation zur Sprache. Damit im Konzert unterschiedlicher Stimmen die christliche Stimme erkennbar bleibt, ist es wichtig, die christliche Hoffnung heute neu zu formulieren.

Menschen sind konfrontiert mit dem Tod; sie erleben den Abschied, oft das Grauen, sie sehen sich in Frage gestellt und fragen nach einer Hoffnung über den Tod hinaus. Die Religionen und viele Weltanschauungen nehmen diese Fragen auf und sprechen über die Fortexistenz des Menschen nach seinem Tod. Mehr als früher kommen dabei auch in Europa verschiedene fremde Vorstellungen wie die von der Reinkarnation zur Sprache. Damit im Konzert unterschiedlicher Stimmen die christliche Stimme erkennbar und kommunikationsfähig bleibt, ist es wichtig, die christliche Hoffnung heute neu zu formulieren.

Im christlichen Glauben bezeugen wir: Gott hat Jesus Christus auferweckt von den Toten. Wir sind gewiss in der Hoffnung, dass Gott auch uns auferwecken wird am Jüngsten Tag. Er wird den ganzen Menschen auferwecken zu einem neuen Leben in Gemeinschaft mit ihm.

Warum Christen hoffen

Christus spricht: Ich lebe, und ihr sollt auch leben.

(Johannes 14,19)

Christen richten ihre Hoffnung zuerst und allein auf Gott. Gott will das Leben. Er will, dass die Menschen in Gemeinschaft mit ihm leben, denn nur so gelingt das Leben wirklich. Er sucht die Menschen, auch wenn diese ihm widerstehen. Dies hat Jesus immer wieder deutlich gemacht. Auch im Tod geht niemand für Gott verloren. Jesus bezeugt den Sadduzäern gegenüber seinen Glauben an die Auferstehung der Toten. Er begründet diesen Glauben, indem er die Schrift auslegt: Gott ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs; Gott ist aber nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebendigen: „denn sie leben ihm alle" (Lukas 20,38 mit 2. Mose/Ex 3,6).

Die Hoffnung der Christen gründet sich auf die Auferweckung Christi. Jesu Botschaft von der Bestimmung des Menschen zum wahren, ewigen Leben hat Gott mit der Auferweckung Jesu Christi besiegelt. Von Karfreitag und Ostern her erkannten die Christen: In Jesus hat nicht nur ein Mensch, hier hat Gott selbst gesprochen und gehandelt. Gott war auf eine unvergleichliche Weise in Jesus gegenwärtig. - Das älteste Osterzeugnis (1. Korinther 15,1-11), etwa zwanzig Jahre nach der Kreuzigung aufgeschrieben, nennt viele Zeugen der Auferstehung, die von Gegnern und Freunden befragt werden konnten. Die urchristlichen Zeugen bekannten freudig und unter Einsatz ihres Lebens, dass ihr Herr von ihnen gesehen wurde, dass er sie aus Enttäuschung und Verlassenheit zum lebendigen Glauben geführt hatte und sie immer neu seine Nähe erfahren ließ.

Christus ist nicht für sich allein auferstanden, sondern er ist der Erstling aller Entschlafenen, die mit ihm auferstehen werden. Der Auferstandene gibt den Jüngern Anteil an seinem neuen Leben. Die Auferstehung Jesu bedeutet das Ende der absoluten Todesherrschaft. Seine Auferstehung ist der Grund für unsere Hoffnung. So gründet und richtet sich die christliche Hoffnung auf die Tat des allmächtigen Schöpfers, der Macht hat über den Tod hinaus, „der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft". (Römer 4,17)

Mit Gewissheit hoffen

Leben wir, so leben wir dem Herrn;

sterben wir, so sterben wir dem Herrn.

Darum: wir leben oder sterben,

so sind wir des Herrn.

Denn dazu ist Christus gestorben

und wieder lebendig geworden,

dass er über Tote und Lebende Herr sei.

(Römer 14,8-9)

Weil Christus auferstanden ist, können die Christen einerseits den Tod ernst nehmen, brauchen ihn nicht zu verdrängen oder zu verharmlosen. Andererseits können sie sich im Leben und Sterben ganz auf Gott verlassen. Sie können ihrer Hoffnung gewiss sein.

So ist das ewige Leben nicht nur Gegenstand der christlichen Hoffnung, sondern gegenwärtige Gewissheit. Christus sagt: „Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen." (Johannes 5,24) Das ewige Leben beginnt nicht erst jenseits der Todesgrenze, sondern schon hier und heute im Glauben an den lebendigen Christus. Dies ist keine natürliche Möglichkeit des Menschen, keine gleichsam angeborene Unsterblichkeit, sondern eine Gabe Gottes durch Christus. (Römer 6,23)

Christen erfahren in vielfältiger Weise, wie ewiges Leben in unser Leben hineinwirkt: in der Vergebung der Sünden, im Gebet, in der Erfahrung der Nähe Christi, im Abendmahl, im Vertrauen auf den Heiligen Geist.

Im Neuen Testament wird in sehr unterschiedlichen Bildern die untrennbare Lebensbeziehung und die Hoffnung über den Tod hinaus artikuliert: In Bildern vom Festmahl (Matthäus 22,1-14 und Lukas 12,35) und vom Weltgericht (Matthäus 25,31 ff.), von dem Vaterhaus mit den vielen Wohnungen (Johannes 14,2), von Saat und Auferstehung zu einem geistlichen Leib (1. Korinther 15,42 ff.), von der Heimat (Philipper 3,20), von Schlaf und Auferstehung (1. Thessalonicher 4,13 ff.), von einem neuen Himmel und einer neuen Erde (2. Petrus 3,13), vom himmlischen Heiligtum (Hebräer 9) und Jerusalem (Offenbarung 21). In den Predigten, besonders bei Beerdigungen, leben diese Bilder.

Auf den gütigen Richter hoffen

Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeglicher empfange, wie er gehandelt hat bei Lebzeiten, es sei gut oder böse. (2. Korinther 5,10)

Es kommt für alle Menschen der Tag, der ein letztes Urteil des Weltenrichters über unser Leben bringt, sowohl über das persönliche Unrecht, über Gleichgültigkeit, Lüge und Verfehlung, als auch über das strukturelle Unrecht der Systeme und Ideologien. Allein, dass es ein solches Gericht gibt, in dem die Wahrheit ans Licht kommt, wird in den Schmerzen auch eine Wohltat sein: Ich muss nichts mehr verstecken und verdrängen.

Im Völkergericht wird Christus die Menschen am Maßstab der tätigen Liebe richten (Matthäus 25,31 ff.). Gott hat uns seine Leihgaben (Talente, Matthäus 25,14 ff.) zum verantwortlichen Gebrauch anvertraut; deshalb wird er unser Leben „ohne Ansehen der Person einen jeden nach seinem Werk" richten (1. Petrus 1,17). Für jeden Menschen gilt: Alles, was ohne Christus gelebt wurde, verbrennt im Feuer des göttlichen Gerichts. Nur das, was in der Christusliebe getan wurde, widersteht dem Feuer und bleibt. Wie alle Menschen werden die Christen die Schmerzen des Gerichts erfahren. Zugleich geschieht in diesen Schmerzen Reinigung und Reifung (1. Korinther 3,1315). Nur durch das Gericht hindurch können wir leben.

So werden sich auch die Christen der Frage stellen müssen, ob sie ihrem Glauben entsprechend gelebt haben und danach Lohn oder Strafe empfangen. Ihre Hoffnung im Gericht richtet sich nur auf Jesus Christus, der sich für uns dahingegeben hat; er wird auch der Richter sein. Dies ist die freie Gnade Jesu Christi: „So gibt es kein Verdammungsurteil mehr für die, die sich Jesus Christus anvertraut haben", die in ihm die Vergebung der Sünden gefunden haben. (Römer 8,1)

Ob Gott am Ende alle Menschen durch das Gericht hindurch mit sich versöhnen wird, wissen wir nicht. Wir dürfen aber für alle Menschen hoffen und beten.

Worauf Christen hoffen

Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium. (2. Timotheus 1,10)

Der Wunsch des Menschen, etwas über das Leben nach dem Tod zu wissen, ist so weit verbreitet, dass er oft als anthropologische Konstante angesehen wird. Aber ein Wissen, das diesen Wunsch befriedigt, bleibt uns versagt trotz vieler philosophischer, religiöser, spiritistischer, theosophischer oder anthroposophischer Anstrengungen.

Auch Christen können von ihrem Glauben her das „ewige Leben" oder ein „unvergängliches Wesen" nicht beschreiben wie unser irdisches Leben. Der Tod ist der Horizont, der unserem Blick unüberwindliche Grenzen setzt. Stattdessen hält sich die christliche Gemeinde an die Zusage Jesu: „Ich lebe - und ihr werdet auch leben." (Johannes 14,19). Der Auferstandene, der den Tod besiegte, schenkt allen, die an ihn glauben, das ewige Leben (Johannes 3,16). Er allein spricht in Vollmacht über das ewige Leben.

Auch wenn wir uns der Grenze der Vernunft bewusst bleiben, spiegeln doch die Worte Christi und das Zeugnis der Apostel in Bildern und Gleichnissen die neue Welt der Auferstehung.

Ewige Gemeinschaft mit Gott

Jeder Mensch hat besondere Eigenarten, er ist ein Individuum. Die Tatsache, dass schon in unserer leiblichen, seelischen und geistigen Gestalt nichts Schablonenhaftes liegt, erinnert uns daran, dass jeder Mensch ein besonderer Gedanke Gottes ist. Gott befreit uns im Sterben von unserem alten Wesen, von unserer Ichbezogenheit. Aber wir dürfen vor ihm bleiben in unserer ganz persönlichen, unverwechselbaren Individualität.

Der Mensch ist bestimmt durch die Beziehungen, in denen er lebt. So will Gott die persönliche Gemeinschaft von Ich und Du, das personale Einssein im Gegenüber. Gott will in Ewigkeit mit uns reden als mit einem Du und uns die Gelegenheit geben, mit ihm zu reden.

Das letzte Ziel unserer Hoffnung lautet: „Wir werden beim Herrn sein allezeit." (1.Thessalonicher 4,17) Die vollkommene, ungebrochene Gemeinschaft mit Gott wird das wahre, ewige Leben sein. Das Gebet wird vollendet werden zu einem Gespräch der Liebe ohne Ende, zum Erfahren und Anbeten der Herrlichkeit des Schöpfers und Erlösers.

In der ewigen Welt wird unsere Erkenntnis nicht mehr „fragmentarisch" sein, sondern ein Ganzes. Im Bruchstück ahnen wir schon heute das Ganze. „Jetzt sehen wir durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich so erkennen, wie ich erkannt bin." (1. Korinther 13,12) Dann erfüllt sich die Zusage unseres Herrn: „An jenem Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen." (Johannes 16,23)

Gemeinschaft der Heiligen

Gott hat die Gemeinschaft der Kirche gestiftet, die schon auf der Erde verbunden ist mit der Gemeinde der Vollendeten (Hebräer 12,22 ff.). Es ist die Gemeinschaft derer, die auf die Vollendung warten, mit denen, die wir schon in der Vollendung glauben. Die Gemeinschaft der Christen ist jetzt noch gebrochen durch die Verschiedenheit der Sprachen und Konfessionen, Gott aber wird sie vollenden. In dieser Gemeinschaft werden wir Gott schauen. Zum Leben gehört die Gemeinschaft zwischen den Menschen. Diese wird in der Ewigkeit nicht ihr Ende, sondern ihre Vollendung finden. Zum wahren Leben gehört, dass es ein Leben in der Gemeinschaft ist. Daher hoffen wir, dass wir die Menschen, denen wir auf unserem Lebensweg begegnen, ewig wiederhaben dürfen als Brüder und Schwestern.

In einer Hinsicht kennzeichnet Jesus das Neue in jener neuen Welt: Es wird keine Unterscheidung der Geschlechter mehr geben. „Sie werden weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie Engel im Himmel." (Matthäus 22,30) Über weitere Einzelfragen eines Wiedersehens aber schweigt die Schrift, deshalb verbietet sich für uns jede Spekulation.

Gottes Lob und Gottes Dienst

Das Leben, zu dem Gott uns auferweckt, wird keine beschauliche, gar traumhafte Ruhe sein, sondern Gott wird uns einbeziehen in sein Wirken: „Seine Knechte werden ihm dienen und sein Angesicht schauen." (Offenbarung 22,3)

Zu diesem Wirken gehört das Lob Gottes, die Verkündigung seiner Taten, der Anteil an seiner Freude (die Gleichnisse vom Festmahl), aber auch der Dienst für Gott „... auf dass ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit ..." (Martin Luther).

Verklärte Leiblichkeit

Das Leben in der kommenden Christusherrschaft wird leibliches Leben sein. Unser sterblicher Leib wird verwandelt und verklärt werden. (Römer 8,11; Philipper 3,21) Der erlöste Leib wird ganz Ausdruck, Gestalt und Werkzeug des Heiligen Geistes sein. Das ist die Schönheit, auf die wir warten.

Im Abschied von den Sterbenden, in der Not des von Krankheit, Schmerzen, Hunger, Elend, Verfolgung und Folter gequälten Lebens gilt die Hoffnung, dass der lebendige Gott in seiner unbegrenzten Schöpfermacht eine neue Daseinsgestalt schenkt - in Unverweslichkeit, Lichtglanz und Kraft (vgl. 1. Korinther 15,42-44).

Christus lässt seine Jünger nicht ins Nichts fallen. Wer mit Christus lebt, darf erfahren, dass unser Leben zum Heimgehen und unser Sterben zum Heimkommen wird. Wie Gott der Herr uns jede Nacht im Schlafe bewahrt, so auch in der Nacht des Todes. Gottes Liebe ist eine ewige Liebe. In der Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus dürfen wir unser Leben in der Perspektive der Auferstehung leben, im Dienst für Gott und für die Menschen, und darauf vertrauen:

Jesus lebt! Ihm ist das Reich

über alle Welt gegeben;

mit ihm werd' auch ich zugleich

ewig herrschen, ewig leben.

Gott erfüllt, was er verspricht;

dies ist meine Zuversicht. (EG 115,2)

Reinhard Brandt/ Peter Godzik